Montag, 8. Oktober 2007

Orient Express

Der Orient Express ist jetzt wieder komplett nach Deutschland zurückgekehrt. Die Fahrradtour startete für mich am 1.8. in Frankfurt und endete am 20.9. auch wieder dort. Mit einem 180-Euro-Rad und Anhänger gelang es mir zusammen mit Christian, Jan, Georg und Tobias bis nach Istanbul zu fahren (Meike und Thomas begleiteten uns einen Teil am Anfang der Tour). Am 6.9. fuhren Christian und Jan sowie Felix (der hingeflogen war) wieder zurück über Griechenland, Italien und die Alpen nach Deutschland, während Tobias und Georg den Luftweg wählten. Ab Griechenland eilte ich den anderen vorraus, da ich eher zurück in Deutschland sein wollte.


Der ursprüngliche Plan war, dass ich die anderen am 11.8. in Salzburg treffen sollte und mir so ab dem 1.8. noch ein paar Tage blieben, um mit dem Fahrrad dorthin zu gelangen. Vorher fuhr ich noch zu Vewandten nach Rudolstadt, 250km östlich von Frankfurt. Da ich aber noch einen vorläufigen Reisepass benötigte (für Serbien), und man sich den ausschließlich am festen Wohnsitz ausstellen lassen muss, ging es diese - zumindest sehr schöne - Strecke am 5.8. durch den Thüringer Wald, die Rhön und den Vogelsberg wieder zurück nach Frankfurt. Nachdem ich den Reisepass besorgt hatte fuhr ich durch Odenwald und Schwäbische Alb über Stuttgart nach Konstanz am Bodensee und von dort weiter bis Landquart bei Chur in der Schweiz. Zu den Tagen gibt es nicht viel zu sagen - ich machte viele Kilometer, aber der Regen verdarb mir den Spaß zusehends. In Landquart bezog ich in einem auf 14 Grad Celsius beheizten Warteraum auf dem Bahnhof mein Quartier für die Nacht und versuchte dort meine Sachen so gut wie es eben ging zu trocknen. Die ersten Fahrgäste weckten mich bereits 5:30 Uhr und so kam ich zeitig los um den höchsten Pass dieser Tour in Angriff zu nehmen.


Hätte ich das Wetter vorrausgeahnt, ich wäre nicht über die Schweiz, sondern geradewegs nach Salzburg gefahren. Aber generell liebe ich die hohen Pässe besonders und so fuhr ich nun, noch im Halbschlaf, mit 10km/h der Silvretta-Wand entgegen, die ich hinter den Wolken nur erahnen konnte, aber wo sich mein Flüela-Pass befinden musste, der mich zum Inntal bringen sollte, von wo aus ich problemlos nach Innsbruck und Salzburg kommen würde. Der Regen ließ nicht lange auf sich warten und nach etwa 4 Stunden befand ich mich dann auf 2383 m ... im fürchterlichen Gewitter und maximal 5 Grad Celsius, völlig durchnässt. Etwas wärmer wurde mir erst, als mich ich bei Pfunds an einer Bushaltestelle in meinem Schlafsack verkroch. 10 min später lag ich in einem warmen Haus und schlief sofort beim Getose des Unwetters ein - der Besitzer hatte mich eingeladen und ich nahm dankbar an. Die ursprünglich geplante Route über das Stifser Joch (2757 m) war kein Thema mehr.


Der nächste Tag war vielversprechend. Die Sonne kam raus und der Radwanderweg Claudia Augusta führte mich herrlich bis nach Innsbruck. Von dort musste ich dann einen Zug nach Salzburg nehmen, um die anderen rechtzeitig zu treffen. Nachdem ich am Tag darauf 4 Stunden vergeblich auf die anderen gewartet hatte, machte ich mich alleine auf und fuhr am selben Tag noch bis Radstadt. Ich kannte die Route, aber mein Handy hatte im Regen den Geist aufgegeben, so dass ich nicht erreichbar war. Auch am darauffolgenden Tag traf ich die anderen nicht, obwohl ich erst bis 12 Uhr in Radstadt wartete und dann (mit der Meinung, sie haben mich bestimmt schon überholt) den Hohe Tauern-Pass und Turracher Höhe im Eiltempo nahm und so noch bis Villach kam. Dort erfuhr ich über Internet, dass die geplante Route nicht über Villach, sondern über Klagenfurt und Loibl-Pass führen sollte. Nachdem ich bei Feldkirchen abermals 5 Stunden wartete, fuhr ich am nächsten morgen schon recht zeitig los, um die anderen am Loibl-Pass, über den sie auf alle fälle kommen mussten, abzufangen. 9 Uhr war ich oben. 11 Uhr fragte ich Autofahrer nach Radfahrern am Pass... "ja, da quälen sich mehrere voll bepackte Leute mit Fahrrädern den Berg hinauf". Ich packe meine Taschen und fahre die steilen 17%-Rampen zurück, nach 2km treffe ich Meike als erste, 12:30 sind wir oben, eine Stunde später sind wir komplett: Meike, Christian, Tonias, Georg, und ich ... die Warterei hat ein Ende, der Orient Express fährt nach Slowenien ein!


Nachdem ich die anderen am Loibl-Pass an der Grenze zu Slowenien getroffen hatten, fuhren wir noch am selben Tag bis Ljubiana, wo uns bereits Thomas erwartete, der wegen Kniebeschwerden den Zug um den Loibl-Pass genommen hatte. Leider fuhr Thomas nur noch bis nach in die kroatische Hauptstadt Zagreb mit, wo er dann den Zug zurück nach Deutschland nahm. Dafür stieß dort Jan zu unserer Gruppe. Nach weiteren 3 Tagen durch den Osten Kroatiens verließ uns auch noch Meike an der Grenze zu Serbien in Vukovar, um alleine den Donauradweg bis Budapest zurückzufahren, da sie rechtzeitig in Gießen zurück sein musste. Kroatien hatte mir gut gefallen, aber es war erschreckend zu sehen, wie viele Dörfer wie ausgestorben waren, dazu das seltsame Bild von den unverputzten Häusern, von denen viele eine sehr besondere Architektur besitzen.


In Vukovar waren noch massenweise extreme Zerstörungen vom Kroatien-Krieg (Mai - November 1991) sichtbar. Die Grenzstadt an der Donau ist immer noch nur zur Hälfte wieder Restauriert, doch nur der zerbombte Wasserturm soll als Mahnmal übrigbleiben. Nach der Grenze zu Serbien, wo uns ein unerträglicher Gestank in der Luft erwartete, der vermutlich durch den vielen Müll an den Straßenrändern hervorgerufen wurde, fuhren wir in die sehr schöne Stadt Novi Sad und weiter nach Belgrad. Immer wieder lagen überfahrene Hunde und andere Tiere am Straßenrand, in allen Verwesungsstadien.


In Belgrad wohnten wir in einem Hostel im Zentrum und fuhren am nächsten Tag erst nach dem Mittag weiter, um die knapp 40 Grad Hitze zu meiden. Die ehemalige Hauptstadt Yugoslawiens besitzt eine große Fußgängerpassage, die wir immer wieder auf und ab schlenderten, und dabei vergaßen, dass wir uns in Serbien befanden. Auf den hohen Stadtmauern, über der Sava, die sich dort mit der Donau vereint, warteten wir den Sonnenuntergang ab und sahen anschließend noch in einem Freirestaurant das Bundesliga-Derby Köln gegen Aachen, für das sich vor allem Georg begeistern konnte. Die Fahrt aus der Stadt war sehr nervenaufreibend, aber desto weiter wir von Belgrad weg fuhren, desto besser wurde die Straße.


Für eine Abwechslung von der öden Landschaft mit den weiten steppenähnlichen Graslandschaften sorgte ein kurzer Abstecher auf die andere Seite der Donau nach Rumänien. Dort erwarteten uns gleich Elselskarren, Zigeuner, viele Angler mit Zelten, viele Vöglel und Kühe, die sich in der Donau Abkühlung verschafften. Nach der anspruchsvollen Straße entlang der Donau ging es über das Eiserne Tor wieder nach Serbien zurück, wo wir noch eine Nacht im Hotel verbrachten, damit wir die von Touristen geforderten Aufenthaltsbescheinigung bekommen, die für die Ausreise aus Serbien benötigt wird. In Bulgarien wurde es abermals fast unerträglich heiß und die Landschaft war anfangs alles andere als abwechslungsreich. Der Verkehr beschränkte sich auf einige Pferde- und Eselskutschen. Ab und zu knatterte ein Yugo an uns vorbei, ansonsten weit und breit keine Menschenseele. Die erste Stadt war eine Zeitreise 40 Jahre zurück, dann ging es über einen Tausender-Pass nach Sofia hinein, wo abermals ein Ruhetag eingeplant war. Sofia wirkte etwas trostlos und in der Nacht wurden wir von dem Lärm der Straßenbahnen, Mücken und der Hitze ständig aufgeweckt.


Am Fuße der Stara Planina - Gebirgskette, nördlich der Rhodopen, ging es die endlosen, welligen Straßen über Botev und Sliven bis nach Burgas ans Schwarze Meer. Auf dem Weg hatten wir mit der Hitze und dem ständigen auf und ab zu kämpfen, aber am unangenehmsten waren die Abgase der heruntergekommen Autos und Laster. Tankstellen waren willkommene Rastplätze, wo wir vor allem Schatten und kalte Getränke bekamen. Die Landschaft war abwechslungsreich, da die Berge ständig im Blickfeld blieben und riesige Sonnenblumfelder oft ein wundervolles Bild ergaben. Weite Landstriche waren nur durch spärliche Büsche und Gräser bedeckt. Kurz nach Sliven fuhren wir durch eine Gegend in der nur Wochen zuvor Waldbrände gewütet hatten. Diese schienen aber keinen langfristigen Schaden in der Natur angerichtet zu haben, da aus fast allen verkohlten Baumstämmen wieder frisches, kräftiges Grün zum Vorschein kam.


Burgas gefiel uns sehr gut, die Tourismusmetropole Sozopol dafür umso weniger. Sehr eigenartig gebaute Hotels und Villen am Meer prägten das Bild, in der Stadt herrschte am Abend Rummel-Atmosphäre. Die Sanitäranlagen der Campingplätze waren katastrophal, dafür waren die Strände aber schön (aber bei weitem nicht so schön wie z.B. auf Rügen). Vor der Türkei warteten auf uns nochmal einige Geduldsproben: zwar war die Straße meist herrlich zu fahren (wenn auch sehr bergig) und ohne jeglichen Verkehr, aber Fliegenschwärme sammelten sich vorm Gesicht, wenn man nicht schneller als 18 km/h fuhr, was an den vielen langen Anstiegen nicht möglich war.


Beim Grenzübergang wurden wir von einer missgelaunten Bulgarin ausgewiesen, an der Türkischen Grenze hießen uns enthusiastische, zu Späßen aufgelegt Türken willkommen. Auch die Landschaft änderte ihr Gesicht und Kirchen wurden durch Moscheen ersetzt. Eine neugierige Kinderhorde sammelte sich in dem ersten Dorf um uns, während Georg uns Bier und Schokolade spendierte. Die Erwachsenen saßen in Gruppen vor ihren Häusern und schienen alle Zeit der Welt zu haben.


Am nächsten Tag bauten wir unsere Zelte früh zusammen, um den heraufkommenden Regenwolken zu entkommen. In einem Dorfladen kauften wir uns was zum Frühstuck, der Besitzer holte uns gleich darauf einen Tisch und fünf Stühle und neugierige Menschen blieben vor dem Laden stehen und beobachteten uns wohlwollend. Wegen der Kälte und dem Regen fuhren wir die nächsten 40 km einzeln. In der nächsten Stadt wurden wir bei der Suche nach einer geeigneten Teestube von der Polizei zu 2 Tassen Tee in einer lustigen Runde mit Dolmetscher eingeladen.


Weiter ging es bis ans Marmarameer, wo uns uns hilfsbereite Menschen einen ungeeigneten Zeltplatz zeigten, Hundemeuten uns von einem durchaus geeigneten Zeltplatz verjagten und wir schließlich, als es schon dunkel war, auf der lebensgefährlichen Schnellstraße weiter richtung Istanbul fuhren. Uns blieb nichts anderes übrig, als schleunigst von der Straße wieder herunterzukommen und hinter einem Atatürk-Denkmal inmitten einer Hochhaus-Siedlung zwischen den Büschen zu schlafen. Am nächsten Tag ging es wieder auf die dreispurige Schnellstraße nach Istanbul, das wir dann auch erschöpft und mit einer leichten Ungläubigkeit erreichten.


Vor der Hagia Sofia ließen wir unsere Erlebnisse der vergangen Tage noch einmal revue passieren und suchten dann unter den vielen Hostels nach ewigen hin- und her schließlich ein sehr schönes aus, wo wir nur 8 Euro pro Tag incl. Frühstücksbuffet bezahlen mussten. Wir durften uns auf der Dachterrasse ausbreiten, die auch unser Schlafquartier war und einen herrlichen Blick über den Bosporus nach Asien bot. Das Frühstück bestand standardgemäß aus Schafskäse, Oliven, Gemüse, Weisbrot mit Wurst, Käse, Honig und Marmelade, sowie Nescafe oder Tee. Die 2 Ruhetage in Istanbul verbrachten wir mit einer kurzen Radtour nach Asien über die Bosporusbrücke, der Besichtigung des Basars und der Hagia Sofia und die Beine baumeln lassen. Als Abschluss und zum Abschied von Georg und Tobias rauchten wir noch eine Apfel-Wasserpfeiffe, die mir allerdings nicht so zusagte.


Während die beiden noch einige Tage in Istanbul blieben und dann nach Deutschland zurückflogen, ging es für Jan, Christian, mich und Felix, der pünktlich am 6.9. mit dem Flugzeug aus Deutschland angeflogen kam, wieder los, und zwar am Marmarameer entlang bis Griechenland. Nach einem weiteren schnellen Tag durch Griechenland trennte ich mich am nächsten Morgen von den anderen, da ich schneller sein musste, wenn ich bis zum 20.9. wieder in Frankfurt sein wollte. So fuhr ich an diesem Tag 240 km bis kurz vor Thessaloniki durch leicht bergiges Terrain. Die Landschaft war berrauschend, aber ich machte an diesem Tag nur 2 Stunden Pause und saß 10 Stunden im Sattel.


Der nächste Tag sollte ein ähnlich schneller werden, aber als ich mir 30 km nach Thessaloniki beim klauen einer Wassermelone gleich 20 Löcher in meine Reifen fuhr, war die Freude über die guten Straßen und das anhaltende gute Wetter weg. Nach 3 Stunden Rast, in der ich ein Loch nach dem anderen Flickte, weil ich jedesmal annahm, es wäre das letzte, gab ich auf und fuhr mit dem Platten im Rad des Anhängers weiter. Zur Not ersetzte ich den Fahrradschlauch mit einem gefundenen Auto-Lenkerlederband. Erst in Kozani konnte ich einen Schlauch in einem Fahrradladen kaufen, so dass ich über 100 km den Anhänger wie einen Stein hinter mir her ziehen musste. Für die 240 km bis Krania benötigte ich so 2 Tage statt einem. Am 12.9. kam ich dann aber Abends in Igoumenitsa an, wo ich 2 Stunden später die Fahre nach Ancona nahm. So hatte ich gleichzeitig 16 Stunden Regeneration auf dem Schiffsdeck.


Von Ancona fuhr ich immer an der adriatischen Küste bis nach Rimini, wobei ich kurz nach Ancona bereits zum zweiten mal mein Fahrrad in die Werkstatt bringen musste, da mir in Griechenland noch 3 Speichen rausgebrochen waren. Jetzt hatte ich nur noch 15 Euro bis Frankfurt, die es sinnvoll einzusetzen galt. In Riminischlief ich auf einer Strandliege ein, wurde aber 3 mal in der Nacht von einem Typen aufgeweckt, so dass ich 3:30 die Reise wieder aufnahm und im Schein der Laternen und hunderten von Hotels langsam am Wasser richtung Ravenna fuhr. Dort ging dann die Sonne auf und so fuhr ich über Ferrara weiter bis Mantova, eine sehr schöne Altstadt. Beim Rausfahren aus der Stadt schlug ich aus versehen die falsche Richtung ein und fuhr so 20 km Richtung Padova, die ich dann wieder zurück fahren musste. Dann sputete ich mich gehörig, um die Zeit wieder gut zu machen und kam am Nachmittag am Gardasee an, den ich an der Ostküste bis nach Arco mit einem 30er Schnitt (bei Rückenwind) fuhr.


Von dort ging es auf welligen Radwegen über Trento nach Bozen und weiter hinauf zum Brenner, auf dem ich unter freien Himmel übernachtete. Dann fuhr ich nach Innsbruck, Telfs und weiter zum Fernpass nach Garmisch-Patenkirchen, Oberammergau und Unterammergau. Vom 18. bis 20.9. fuhr ich dann über Augsburg, Aalen, Schwäbisch Hall und Miltenberg zurück nach Frankfurt, wo ich noch am selben Abend in meine neue WG einzog, in der ich bereits meine Sachen stehen hatte. Die Fahrt durch Deutschland verlief hauptsächlich durch kleine Dörfer, da ich nur nach der Sonne ohne Karte fuhr, was mich aber streckenweise auch fast zur Verzweiflung trieb, z.B. wenn kleine Straßen plötzlich im Wald endeten. Ausserdem regnete es bis auf den letzten Tag fast ununterbrochen. Aber dafür wurde ich mit langen Apfel- und Birnenbaum-Alleen belohnt und der Freude über das vorläufige Ende der Tour.


Am Ende waren es 6100 km in 50 Tagen, davon 6 Ruhetage. Die Erfahrungen, die ich auf der Tour gesammelt habe sind enorm, und allein die sportliche Herausforderung war diese Reise wert. Trotzdem habe ich abermals erkannt, dass man weit weg von zu Hause die Schönheit der eigenen Heimat zu Schätzen lernt. Es gibt nichts schöneres als seine Träume zu verwirklichen, aber dies ist nur mit viel Willensstärke und Entschlossenheit zu bewältigen.